Vor etwa drei Stunden ging die Eröffnungspremiere der Bayreuther Festspiele 2013 mit der Wiederaufnahme des „Fliegenden Holländers“ in der Inszenierung von Jan Philipp Gloger, unter der Leitung von Christian Thielemann zu Ende. Während ich diese Zeilen schreibe, dudelt aus dem Fernseher im Nebenzimmer die zeitversetzte Übertragung in der ARD. Die Inszenierung war vor ihrer Premiere 2012 wegen Tätowierungen des vorgesehen Titelhelden, des Bassbaritons Evgeny Nikitin, mit nationalsozialistischen Symbolen in die Schlagzeilen gekommen. Über die Inszenierung selbst las man hinterher dann aber eher Begriffe wie „brav“ oder gar „Rumstehtheater“.

Wie bereits 2004, 2007 und 2011 hatte ich dank meines Freundes Rainer die Gelegenheit, mir im Festspielhaus vorab drei Generalproben anzusehen und anzuhören: Eben diese Inszenierung des „Fliegenden Holländers“ und zwei Opern aus der Neuinszenierung des Rings durch Frank Castorf: Das Rheingold und Siegfried.

Abermals war auf den Generalprobenkarten zu lesen:

Eine öffentliche Kritik der besuchten Generalprobe ist grundsätzlich untersagt.

Dieses Jahr will ich mich an dieses Diktum auch uneingeschränkt halten. Über Frank Castorfs „Erdöl-Ring“ ist bereits in der Presse einiges durchgesickert, spätestens ab dem 1. August, wenn der neie Ring am grünen Hügel seine vier Premieren hinter sich hat, werden die Gazetten voller Kritiken sein. Deshalb wende ich mich hier lieber einem anderen Gedankengang zu:

Ich habe mich die letzten Jahre durch meine Bayreuth-Besuche, die Teilnahme am Wagner-Zyklus des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin unter der Leitung von Marek Janowski und dem Besuch weiterer Aufführungen einer relativ großen Menge an Wagnerscher Musik und Librettokunst ausgesetzt. Doch wenn ich dagegen vergleich, wieviel Wagnerscher Kunst die Solisten, Dirigenten, Regisseure, Choristen, Orchestermusiker und sonstiges Personal der Bayreuther Festspiele Sommer für Sommer ausgesetzt sind, liegt die Frage nahe, ob eine solch hohe Dosis nicht irgendwelche Gefahren birgt.

Einer solchen Fragestellung hat sich vor einiger Zeit auch Prof. Dr. Joachim Kaiser angenommen. Was für die Literaturkritik Marcel Reich-Ranicki ist, das ist Joachim Kaiser für die Musikkritik. Kaiser hatte bei der Süddeutschen Zeitung von Mai 2009 bis Januar 2011 eine Videokolumne namens „Kaisers Klassik-Kunde“. In Folge 8 dieser Kolumne, „Die Nazi-Singer“, widmet er sich der Frage „Macht zu viel Wagner rechtsradikal?“ Genauer gesagt geht er auf die Frage eines Zuschauers der Kolumne ein:

Laufe ich Gefahr, nach zu oftmaligem Hören von Wagners „Meistersingern“ die NPD zu wählen?

Hier Kaisers Antworten auf diese Frage:

Play

„Die Meistersinger von Nürnberg“, wahrscheinlich Wagners „deutscheste“ Oper, bietet also laut Kaiser keinen Anlass, den Komponisten in eine rechtsradikale Ecke zu stellen. Den oft kritisch als nationalsozalistisch interpretierte abschließende Satz des Hans Sachs befreit Kaiser durch seine Interpretation vom braunen Geruch. Ja, auch Wagner selbst erweitert den Bedeutungshorizont des Werkes über das rein Deutsche hinaus:

So soll das Kunstwerk der Zukunft den Geist der freien Menschheit über alle Schranken der Nationalitäten hinaus umfassen; das nationale Wesen in ihm darf nur ein Schmuck, ein Reiz individueller Mannigfaltigkeit, nicht eine hemmende Schranke sein.

(zitiert nach: Wikipedia)

Wagners rechtsradikale Äußerungen außerhalb seiner Opern

Wie verhält es sich aber mit Wagners Einstellung außerhalb seiner Opern? Hier lässt sich hingegen leider zweifelsfrei eine stark antisemitische Gesinnung ausmachen – besonders stark in seinem 1869 zu einer eigenständigen Broschüre umgearbeiteten Aufsatz von 1850, „Das Judenthum in der Musik“. Hier eine kleine, aber eindeutige Kostprobe:

Wir können uns auf der Bühne keinen antiken oder modernen Charakter, sei es ein Held oder ein Liebender, von einem Juden dargestellt denken, ohne unwillkürlich das bis zur Lächerlichkeit Ungeeignete einer solchen Vorstellung zu empfinden.

(via Weltsicht aus der Nische)

Dies lässt sich nicht wegdiskutieren. Mich persönlich stürzt dieser Einblick in das Denken und Fühlen Richard Wagners in ein starkes Dilemma: Einerseits bin ich angewidert von diesem antisemitischen Gedankengut, andererseits vermag diese dunkle Seite meine Bewunderung vor dem musikalischen Genius Wagners nicht zu schmälern. Eine ähnliche kognitive Dissonanz treibt mich beispielsweise bei dem Jazpianisten Chick Corea um: Einerseits verehre ich ihn als Musiker, andererseits missbillige ich seine Mitgliedschaft bei Scientology.

Es ist für mich ein unauflösbares Dilemma. Wagners Motto aus den Meistersingern „Hier gilt’s der Kunst!“ bekommt durch seine antisemitische Gesinnung einen stark schalen Beigeschmack. Dennoch kann ich mich der Faszination seiner Kunst nicht entziehen.