… wir waren für einige Jahre „Facebook-Freunde“, bis Du irgendwann in diesem Sommer plötzlich aus meiner Perspektive von Facebook verschwunden zu sein schienst. Ich kann mich irren, aber dieses Symptom deutet ganz darauf hin, dass Du mich blockiert hast. Du, der Du gerne und oft den Begriff Filterblase verwendest, hast diese, Deine eigene gewissermaßen händisch kalfatert gegenüber einer (relativ oft) abweichenden Meinung. Glückwunsch dazu!

Dies war der Grund, warum ich erst relativ spät davon erfahren habe, dass Du am 25. September, kurz vor Mitternacht auf Deinem Facebook-Profil einen offenen Brief an Greta Thunberg veröffentlicht hast. Am 6. Oktober hast Du dann ebenfalls auf Facebook noch einmal nachgelegt. Da ich Dir auf Facebook dazu im Moment nichts erwidern kann, wähle ich ebenso die Form eines offenen Briefes, den ich primär hier auf meinem Blog veröffentliche.

Beleidigungen vs. unvollständiges Zitieren, Eristik und Widersprüche

Du merkst an, Du seist auf Deinen offenen Brief beleidigt worden und behauptest zugleich, Dein Brief sei „betont sachlich“ gewesen. Sachlich? Nun sachlich war(en) er (und der „Nachschlag“) vor allem an vielen Stellen schlichtweg falsch. Du hattest außerdem geschrieben:

Sorry, aber das ist grosser Blödsinn.

Aha, das ist also die neue Sachlichkeit des Martin Graf?

Mein geschätzter Professor für Musiktheorie, Otfried Büsing hat mehrfach betont, man könne Kunst nur mit Kunst beantworten. Du scheinst hingegen der Auffassung zu sein, großen Blödsinn könne man nur mit noch größerem Blödsinn beantworten. So hanebüchen kommen jedenfalls Deine Whataboutismen und Schein- bzw. falschen Argumentationen daher.

Es ist mir zeitlich leider nicht möglich, alles davon geradezurücken, deshalb beschränke ich mich exemplarisch auf ein paar wenige Abstrusitäten, die zeigen, wo der Hase inhaltlich und vom Mindset her im Pfeffer liegt.

Alles, was Du im Absatz nach Deinem „Blödsinn“-Vorwurf schreibst, hättest Du Dir sparen können, wenn Du Greta nicht lediglich ausschnittsweise zitiert (oder gar gehört bzw. gelesen) hättest. Bereits im nächsten Satz konstatiert sie das, was Du versuchst Ihr beizubiegen: „Und trotzdem bin ich noch eine von denen, die Glück haben.“ (zitiert nach der Freitag)

Diese Form der Schein-Argumentation, die ich nur zu gut von Dir kenne, ist in der Rhetorik bzw. Eristik unter dem Begriff Strohmann bekannt. Auch wenn ich mir gar nicht einmal sicher bin, ob Du dieses Mittel bewusst einsetzt, oder es Dir einfach nur passiert, so ist es jedenfalls gut genug, Deine geistige Gefolgschaft zu Beifallsstürmen hinzureißen. Leider bezeichnend.

Wo wir gerade bei diesem Thema sind: Du mokierst Dich in Deinem „Nachschlag“ über Menschen mit „eingebildeter moralischer Überlegenheit“. Aber bereits drei Absätze später diffamierst Du „so genannte ‚gebildete Leute‘, die es eigentlich besser wissen müssten.“ Du misst hier (abermals – auch das kenne ich nur zu gut von Dir) mit zweierlei Maß: Eine moralische Überlegenheit an den Tag zu legen, ist also bei anderen nicht in Ordnung, bei Dir selbst, in Deiner Weisheit von Gottes Gnaden ist das aber völlig anders zu bewerten, oder wie darf der geneigte Leser das verstehen?

Die „Respekt-Falle“ des Pierre Brice

Aber vieles von dem, was Ihr derzeit tut – und Du in der ersten Reihe – ist vor allem respektlos: […]

Halt, da war doch was … wir erinnern uns: Am Abend des 13. Oktober 2001, also vor ziemlich genau 18 Jahren saß der wohl bekannteste weiße Mann, der je eine Rothaut verkörpert hat, bei Thomas Gottschalk in dessen Samstagabend-TV-Show auf der Couch und maßregelte einen 29 Jahre jüngeren Kollegen, der gerade einen Riesenerfolg für seinen Film „Der Schuh des Manitu“ eingefahren hatte: „Ich vermisse Respekt.“

Was dem ewigen Winnetou allerdings entgangen zu sein schien, war die Tatsache, dass sein Kollege Bully Herbig den Erfolg nicht erzielt hatte, obwohl er respektlos war, sondern genau weil er nicht das, was sein älterer Kollege unter Respekt verstand, an den Tag legte.

Und genauso verhält es sich mit Greta Thunberg. Hätte sie das, was Du als Respekt bezeichnest, dann hätte sie niemals das GETAN, was sie aus intrinsischer Motivation einfach tun musste.

(Wie Bully Herbig auf die Einlassung des älteren Kollegen reagiert hat, ist inzwischen Filmgeschichte. Du, lieber Martin, bist zu unwichtig, als dass Greta Thunberg auch nur Notiz von Dir und Deinem Geschreibsel nehmen müsste. Stattdessen musst Du halt mit einem offenen Brief aus meiner Feder vorlieb nehmen.)

Wer soll eigentlich hier etwas TUN?

[…] wann fangt Ihr an, SELBST etwas zu TUN?

In dieser Frage kulminiert entlarvend die Ignoranz, mit der Du an das Phänomen „Greta“ herangehst.

Lieber Martin, ich will gar nicht in Abrede stellen, dass Du selbst in Deinem Leben viel, ja mit Sicherheit überdurchschnittlich viel für den Umwelt- und Klimaschutz getan hast. Aber egal, wie viel es war bzw. ist, wenn Du das herausstreichen musst und im selben Atemzug behauptest, Greta hätte in ihrem Leben noch nichts SELBST GETAN, dann hast Du Dich quasi selbst zum Abschuss freigegeben. Jegliche Beschreibung eines solchen Mindsets, und würdest Du sie noch so sehr als Beleidigung empfinden, kann eigentlich nur ein Euphemismus sein.

Kleiner Reminder: Im Dezember 2015 auf der UN-Klimakonferen haben sich knapp 200 Vertragsparteien – spät genug – auf einen Minimalkonsens geeinigt und diesen Unterzeichnet. Inhalt war eine Selbstverpflichtung der unterzeichnenden Staaten. Damit ist der Rahmen klar gesteckt, wer Verantwortung übernommen hat, etwas zu TUN.

Der Versuch, den Spieß jetzt umzudrehen, ist nichts weiter als ein jämmerlicher Versuch, vom eigenen Versagen abzulenken. Denn auch Du und auch ich, wir haben entweder die Politiker gewählt oder zumindest nicht verhindern können, dass die gewählt wurden, die jetzt NICHTS TUN bzw. lächerlich wenig tun. Und da ist es aus meiner Sicht respektlos, ja gar feige, jemanden, der die Politiker an ihre Verantwortung erinnert, zu fragen, ob er denn schon jemals etwas getan hat.

Bevölkerungswachstum als Argument?

Du schreibst, Du hättest Dir gewünscht, dass Menschen im Informationszeitalter aufgeklärter, belesener und weitsichtiger seien. Autsch. Wie war das mit dem Glashaus und den Steinen? Du kokettierst sogar damit, ein „alter weißer Mann“ zu sein. Wäre nicht einmal nötig gewesen, denn Dein Kenntnisstand in einigen Punkten verrät Dich.

Wissenschaftlich zweifelsfrei bewiesen ist bislang nur eine Korrelation: Die zwischen einem unglaublich rasanten Wachstum der Weltbevölkerung von zwei auf knapp acht Milliarden Menschen in gerade einmal 70 Jahren auf der einen und einer leicht erhöhten Durchschnittstemperatur auf der anderen Seite. […]

Meine geschätzter Vater, den Du ja auch kennst, würde dazu lapidar eines seiner Lieblingszitate von sich geben. Denn dieser Absatz, dessen Inhalt Du gebetsmühlenartig in den letzten Monaten, als ich Deine verbalen Ergüsse noch teilweise mitverfolgen konnte, wieder- und wiedergekäut hast, ist ebenfalls symptomatisch für Dein Mindset: Zum einen zeigt er klar, dass Dein Wissensstand nicht ganz auf der Höhe der Zeit ist: Das Bevölkerungswachstum wird jüngeren Forschungen zufolge eben auch nicht mehr so „zweifelsfrei“ als das große Zukunftsproblem gesehen, wie Du es mit Deinem Kenntnisstand von 2018 hier darstellst:

Nur kurz skizziert hier der Hinweis auf jüngere Forschungen: Dabei wären vor allem die Namen Jørgen Randers oder Wolfgang Lutz zu nennen. Als Einstieg in die Materie mögen zwei Artikel im Guardian und auf SpOn dienen, von dort aus kann man leicht auch noch detaillierter in die Materie einsteigen.

Aber selbst wenn man einmal die neueren Erkenntnisse zum Thema Bevölkerungswachstum außer Acht lässt, dann zeigt sich immer noch, dass Du argumentativ auf dem Holzweg bist, auf dem Dir der jubelnde Mob blind zu folgen scheint:

Wenn man statt zwei plötzlich acht Personen in eine 2-Zimmer-Wohnung steckt, ändert sich dort auch erheblich mehr als der Name auf dem Klingelschild.

Das ist zwar nicht falsch, aber das ist eben auch nicht das größte Problem. Umgekehrt wird ein Schuh (des Manitu) daraus: Gerade in den Industrienationen, in denen die Bevölkerung nicht wächst, sondern rapide schrumpft, wohnen inzwischen immer weniger Menschen auf immer größerer Fläche. Für die CO₂-Emissionen einer im Moment noch wachsenden Bevölkerung vor allem in der zweiten und dritten Welt existieren längst tragfähige Lösungsansätze. Es bedarf nur leider dazu Politiker, die den Mut haben, diese auch umzusetzen. Aber lediglich mit dem Finger auf jene Länder zu zeigen, um damit von den eigenen, weit überdurchschnittlichen CO₂-Emissionen abzulenken, ist eben auch weit davon entfernt, als gutes Argumentieren durchgehen zu können.

Vielleicht solltest Du weniger Lindner und Kubicki wiederkäuen, Dich stattdessen aber mehr mit aktueller Wissenschaft beschäftigen? Das „Gelindnere“, das Du wie ein Echo herausposaunst, die „Hoffnung, dass es in der Generation unserer Kinder genügend kreative und tüchtige junge Menschen gibt, die als Politiker, Wissenschaftler, Ingenieure und Philosophen mit Klugheit und Weitsicht die Probleme ihrer Generation auf der Basis von naturwissenschaftlichen und politischen Fakten lösen werden“ klingt ja zunächst sehr liberal aufgeklärt und verlockend. Nur ist es dafür alleine, wenn man nicht wie Du wesentliche wissenschaftliche Erkenntnisse einfach ausklammert, zu spät.

Arroganz vs. Ignoranz

Ich selbst bin jedenfalls sehr froh darum, nicht in der Welt leben zu müssen, die sich unsere Vorfahren vor 80 Jahren für uns ausgedacht hatten, sondern in einer Gesellschaft, die wir selbst einrichten durften und die ich für eine der besten und freiesten der Welt halte – so wie sie heute ist.

In diesem Absatz wird, in Verbindung mit anderen Aussagen aus deinen beiden hier kritisierten Texten, abermals ein Widerspruch und ein blinder Fleck deutlich:

Klar ist, dass die Welt, wie wir sie heute in Deutschland erleben, nicht vollständig vor 80 Jahren erdacht wurde. Ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte und die aus dem Ende dieses Kapitels resultierende segensreiche Gnade der (West-)Alliierten, uns ein Grundgesetz als staatsrechtliche Grundlage für einen neuen deutschen Staat zu ermöglichen, hat vieles verändert. Vieles, aber eben nicht alles.

Du kritisierst zurecht an anderer Stelle das bestehende, menschenunwürdige Rentensystem. Aber genau das geht u. a. auf Bismarck zurück, ist also von unseren Vorfahren vor mehr als 80 Jahren für uns ausgedacht worden. Und so schlecht es in der aktuellen Form sein mag, so wenig kann man ein Rentensystem alle 15 Jahre neu erfinden. Es gibt nun mal (leider) Themen, für die man langfristige Entscheidungen treffen muss, deren Konsequenzen folgende Generationen zu tragen haben. Umwelt- und Klimaschutz gehören zu diesen Themen.

Die vordergründig liberale Einstellung, Entscheidungen in solch wichtigen Bereichen den Folgegenerationen selbst zu überlassen, ist schlicht ignorant und als Folge daraus wiederum arrogant. Es ist nämlich nicht, wie Du behauptest, generell arrogant, wichtige Dinge für eine Folgegeneration zu regeln, sondern ganz einfach eine Frage der Verantwortung – einer Verantwortung, der Du Dich in Deiner Schein-Argumentation feige entziehst.

Fazit

Alle Deine (Teil-)Fehlschlüsse zu zerlegen, ergäbe einen Text unerträglicher Länge. Deshalb schließe ich hier nun mit folgender Conclusio:

Wir brauchen mehr Gretas in der Welt und weniger Martin Grafs und deren „Liker“.

Deshalb:

Danke, Greta! Nein danke, Martin!