Wer kennt ihn nicht, den Vergleich, der mit den Worten „die Stradivari unter den …“ beginnt. Die „Stradivari“, kurz für die Meisterwerke des italienischen Geigenbaumeisters Antonio Giacomo Stradivari, war Synonym für das Höchste, was in der Geigenbaukunst erreicht werden konnte. Die Frage ist jedoch: zu Recht?
Ein Team von Wissenschaftlern um Claudia Fritz von der Universität Paris versuchte dieser Frage nun mittels einer doppelverblindeten Studie mit 21 Violinisten nachzugehen. Getestet wurden insgesamt sechs Instrumente, zwei von Stradivari, eines von seinem Kollegen Giuseppe Guarneri und drei neuere Instrumente im Alter von 20 bis 65 Jahren. Das Ergebnis war einigermaßen ernüchternd: Überdurchschnittlich viel Zuspruch fand eines der neueren Intrumente. Auf dem letzten Platz hingegen landete eine der Stradivaris. Auf der Webseite des amerikanischen Radiosenders NPR kann man einige Beispiele aus dem Test nachvollziehen und sich dabei selbst testen.
Dieser Blindtest ist jedoch keineswegs der erste dieser Art. Bereits 2009 verwies eine aus mit Pilzen behandeltem Holz gefertigte, neue Geige eine Stradivari klar auf den zweiten Platz (vgl. „Fungi goes classic“ – Empa-Geige übertrifft Stradivari) . Aber auch früher fanden solche Experimente statt. Hier ein Bericht über einen Versuch aus dem Jahre 1974:
Den wohl ernsthaftesten Test hatte 1974 die englische BBC organisiert. Dabei sollten die weltberühmten Geiger Isaac Stern und Pinchas Zukerman sowie der englische Geigenhändler Charles Beare unterscheiden zwischen der «Chaconne»-Stradivari aus dem Jahr 1725, einer «Guarneri del Gesu» von 1739, einer «Vuillaume» von 1846 und einer vom englischen Geigenbaumeister Roland Praill gebauten Geige gleichen Namens. Das Resultat fiel ernüchternd aus. Keiner der Juroren identifizierte mehr als zwei der vier Instrumente korrekt, zwei hielten die modernde Geige sogar für die «Chaconne»-Stradivari.
Interessant ist, wie unterschiedlich ein Fazit über den jüngsten Blindtest in den Medien ausfällt. SPIEGEL ONLINE urteilt rigoros:
Dass die Violinen der italienischen Meister moderne Modelle klar übertrumpfen, lässt sich nach dieser Studie nur noch schwer behaupten.
Lukas Wieselberg bei science.ORF.at recherchiert da etwas differenzierter:
Wie kann es zu diesen Ergebnissen nach Jahrhunderten der Stradivari-Verehrung kommen? Darauf geben die Forscher keine endgültigen Antworten, aber ein paar Hinweise und Einschränkungen ihrer Studienresultate. Die Musiker hatten den Klang direkt beim unmittelbaren Spielen der Instrumente verglichen, sozusagen „unter ihren Ohren“: Über den Klangeindruck von Zuhörern in einiger Entfernung lässt sich dadurch nichts aussagen, er könnte aber ein anderer sein und besser für die alten Geigen ausfallen.
Tendenziell, so betonen die Forscher, sei der individuelle Geschmack von Musikern wichtiger als die grundsätzliche Unterscheidung von „alten“ und „neuen“ Instrumenten. Statt nach dem „Geheimnis“ der italienischen Geigenbauer zu suchen, sollte deshalb in Zukunft besser untersucht werden, wie Musiker überhaupt Instrumente bewerten. Es solle geprüft werden, auf welche Merkmale sie besonders Wert legen und wie diese mit messbaren Eigenschaften des Instruments zusammenhängen – egal, ob alt oder neu.
Eine Erklärung für den Mythos liefert eine Studie aus dem Jahr 2007, bei der Probanden, ohne es zu wissen, stets den gleichen Wein vorgesetzt bekamen, jedoch mit unterschiedlichen Angaben zu dessen Preis. Dabei schnitt der Wein, wenn er als „teurer“ klassifiziert wurde, im Mittel deutlich besser ab. Das hier zugrunde liegende psychologische Phänomen dürfte wohl auch der Grund dafür sein, dass sich der Mythos „Stradivari“ trotz gegenteiliger wissenschaftlicher Forschungsergebnisse noch lange halten wird.
Foto: Stradivari-Violine im Palacio Real, Madrid von Håkan Svensson
(CC BY-SA 3.0)
» Geigen-Mythos; Blindtest entzaubert die Stradivari @ SPIEGEL ONLINE
» Geiger wollen keine Stradivari @ science.ORF.at
» Double-Blind Violin Test: Can You Pick The Strad? : Deceptive Cadence : NPR
(via Jonas’ Kontrabass-Blog und brennerblog)
6. Januar 2012 um 18:11 Uhr
Spannender Eintrag und interessantes Thema (von dem ich leider keine Ahnung habe…). Ich werde es mal an eine Geigenbau-Freundin auf Facebook weiterleiten…
11. Januar 2012 um 13:34 Uhr
Meine Professoren Rolf Bader und Christiane Neuhaus haben ein Buch herausgegeben (Concepts, Experiments, and Fieldwork: Studies in Systematic Musicology and Ethnomusicology) indem ein interessanter Artikel zur „Vokalität als Darstellung für Klangbeschreibungen“ erschienen ist. Sehr zu empfehlen! Der Autor Robert Mores geht darin auch auf den Stradivari/Guarneri Vergleich ein.
13. Januar 2012 um 11:11 Uhr
Danke für den Tipp! Das Buch werde ich mir bei nächster Gelegenheit mal versuchen in einer Bibliothek zu besorgen … 🙂