… das wäre gewiss eine Alliteration in Richard Wagners Sinne gewesen. Heute, vor etwa fünf Stunden, begannen die 100. Bayreuther Festspiele mit der Premiere des Tannhäusers unter der Regie von Sebastian Baumgarten und der musikalischen Leitung von Thomas Hengelbrock.
Wie bereits 2004 und 2007 hatte ich die Gelegenheit, mir vorab einige Generalproben im Festspielhaus auf dem grünen Hügel anzusehen. Dieses Jahr sogar dank der Großzügigkeit meines Freundes Rainer vier an der Zahl, also alle bis auf eine der diesjährigen Produktionen. Und wieder stehe ich vor dem Dilemma, dass ich mit Nutzung der Generalprobenkarte folgenden Passus der Nutzungsbedingungen akzeptiert habe:
Eine öffentliche Kritik der besuchten Generalprobe ist grundsätzlich untersagt.
Daher will ich zunächst herausarbeiten, was unter „öffentlicher Kritik“ zu verstehen sei, um den Rahmen dessen abzustecken, was mir hier erlaubt ist und was nicht. Dazu beginne ich mit dem Begriff „öffentlich“ bzw. „Öffentlichkeit“. Dieser ist leicht abzugrenzen. Es besteht kein Zweifel daran, dass ich alles, was ich in diesem Blog schreibe, öffentlich schreibe. Bleibt also noch der Begriff „Kritik“. Was ist eine Kritik und was nicht? Dazu bemühe ich, wie so oft in diesem Blog, unser aller zentrales Gedächtnis: Im Wikipedia-Artikel Kritik wird im Abschnitt 2.3. Journalismus auf den Artikel Rezension verwiesen. In letzterem ist zu lesen:
Als Teil des Feuilletons erscheinen Rezensionen zeitnah kurz vor oder nach der Veröffentlichung ihres Betrachtungsgegenstandes.
Wenn man spitzfindig wäre, könnte man sich hier an der Formulierung „zeitnah kurz vor oder nach der Veröffentlichung ihres Betrachtungsgegenstandes“ aufhängen und zumindest für die Premiere des Tannhäusers argumentieren, dass die Vorstellung im Moment der Veröffentlichung dieses Artikel läuft, und er von daher per Definitionen keine Rezension sein könne. Doch erstens gilt das mir auferlegte Verbot nicht für die Premiere, sondern für die Generalprobe, und zweitens will ich mich (diesmal) auf solche Feinheiten in der Definition nicht einlassen.
Daher zurück zum Abschnitt 2.3. Journalismus des Wikipedia-Artikels Kritik:
Im Journalismus versteht man unter einer Kritik eine Darstellungsform, die Information und kommentierende Meinung verbindet.
Ich wähle daher den Weg, dass ich hier keine Information verbreite, zu der der geschätzte Leser nicht auch aus anderen Quellen gelangen kann. Zudem werde ich keine kommentierende Meinung von mir geben, die ich mir in der jeweiligen Generalprobe oder danach gebildet habe. Nein, ich gebe es zu (und das unterscheidet mich wahrscheinlich von vielen anderen Menschen): Ich bin ein zutiefst vorurteilsbehafteter Mensch. Ich ging also in diese vier Generalproben mit Vorurteilen hinein und musste kaum eines revidieren. Im folgenden werde ich also völlig zusammenhanglos von belanglosen Informationen zu den diesjährigen Produktionen am grünen Hügel berichten und damit völlig unzusammenhängend einige meiner festgefahrenen Vorurteile über Opernregisseure, Operndirigenten und Opernsänger breittreten. Alles in allem also nichts, was man als Kritik bezeichnen könnte.
1. Allgemein
Die Überschrift dieses Artikels hat ihren Ursprung, neben dem Bezug zu dem Reichtum an Alliterationen in Wagners Opernlibretti, in einem Ritual, das ich seit meinem ersten Generalprobenbesuch auf dem grünen Hügel pflege. In der erste Pause (für Bayreuth-Unkundige: Die Pausen zwischen den Akten im Festspielhaus dauern jeweils eine volle Stunde) pilgere ich regelmäßig zum Kiosk am nahegelegenen Freiluftbad an der Bürgerreuth und genehmige mir dort ein Weißbier und ein Paar Wiener Würstchen.
Ein Meinung, die ich in den letzten Jahren gefasst habet, ist, dass bei den Bayreuther Festspielen wohl eine hochmotivierte Truppe an Orchestermusikern und Chorsängern versammelt sein muss. Insbesondere beim Chor der Bayreuther Festspiele bin ich der unverbrüchlichen Auffassung, dass es wohl derzeit keinen besseren Opernchor geben kann. Geprägt durch den Ausspruch meines Vaters „Es gibt keine schlechten Chöre – es gibt nur schlechte Chorleiter.“ wäre es sicherlich nur schwer möglich, mich davon zu überzeugen, dass der Chordirektor Eberhard Friedrich daran keinen Anteil habe.
2. Meistersinger
Letzte Woche also, am Dienstag, dem 19. Juli 2011, besuchte ich die Generalprobe zu Die Meistersinger von Nürnberg. Die Inszenierung Katharina Wagners stammt bereits aus dem Jahre 2007. Insofern war es mir unmöglich diese vorurteilsfrei anzusehen. Ich musste während der Generalprobe einige Male schmunzeln. Ob dieses Schmunzeln allerdings durch Inszenierung oder eher durch Weißbier und Würstchen beursacht war, vermag ich nicht zweifelsfrei zu beurteilen.
Eines meiner hartnäckigsten Vorurteile ist, dass ich Michaela Kaune für eine hervorragende Sängerin halte. Dies ließ sich auch durch den Besuch dieser Generalprobe nicht revidieren.
3. Tannhäuser
Tags darauf, am Mittwoch, dem 20. Juli 2011, durfte ich dann die Generalprobe zu Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg erleben. Die Oper ist die diesjährige Neuproduktion auf dem grünen Hügel. Von daher gebietet es das Kritikverbot, dass ich mich zu der Inszenierung äußere. Aber spätestens ab morgen wird der Blätterwald rauschen und man darf gespannt sein, ob es Rezensenten gibt, die die Deutung des Tannhäusers durch Sebastian Baumgarten ihrerseits zu deuten vermögen. Einen Hinweis kann möglicherweise ein Zitat aus dem Artikel über die heutige Pressekonferenz auf SPIEGEL ONLINE geben:
[…] Aber Sebastian Baumgarten geht es mehr um die Theorieebene, und da fühlt er sich spürbar wohl. […]
Bereits bevor ich die Arbeit Thomas Hengelbrocks persönlich kennenlernte, hatte ich schon so viel Gutes über sie gehört, dass ich nicht mehr vorurteilsfrei darüber urteilen konnte. Diese Vorurteile konnte ich dann durch die Berührung mit seiner Arbeit auch nicht mehr revidieren. Und die Vorurteile wurden im Laufe der Jahre dahingehend erweitert, dass ich mir sicher war, dass seine Arbeit auch einer Oper Richard Wagners gut tun würde. Und auch letzteres musste ich bis zum heutigen Tage nicht revidieren.
4. Parsifal
Am folgenden Tag, dem 21. Juli 2011 wurde ich dann Zeuge der Generalprobe zum Bühnenweihfestspiel Parsifal. Eine fest gefasste Meinung, die mich mit Marek Janowski verbindet, ist die, dass Opernregie in der überwiegenden Zahl der Fälle unnötiger Firlefanz sei und nichts, aber auch gar nichs zur Musik beitragen könne, sondern im Gegenteil sie eher behindere. Diese Meinung brachte bis zum Mittwoch letzter Woche auch nichts ins Wanken.
Als zahlenaffiner Mensch mit einem Faible für Statistik bin ich auch der Überzeugung, dass ein Ereignis, auch wenn es noch so unwahrscheinlich scheint, irgendwann eintritt, wenn man nur lange genug darauf wartet (Mathematiker mögen mir die grausame Verkürzung des Borel-Cantelli-Lemmas, welches durch das Infinite-Monkey-Theorem für Laien etwas anschaulicher wird, verzeihen). Auch diese Überzeugung wurde am vergangenen Donnerstag durch nichts ins Wanken gebracht – im Gegenteil. Sei es, dass Bayreuth ein geeigneter Ort sei, um Vorurteile zu verfestigen, sei es, dass der Parsifal – für mich persönlich das Opus summum unter Wagners Opern – mir ein Stück Unendlichkeit eröffnet hat, ich vermag es nicht zu ergründen.
Ich kann nur sagen, dass die Inszenierung Stefan Herheims mich dazu gebracht hat, das Buch Weißt du, was du sahst?: Stefan Herheims Bayreuther Parsifal von Antonia Goldhammer zu kaufen. Ich kann weiterhin berichten, dass ich noch nie ein Buch über eine Operninszenierung gekauft habe ud davon ausgehe, dass sich ein solches Ereignis in naher Zukunft auch nicht wiederholen wird.
Ein weiteres Vorurteil, zu dessen Revision ich mich bisher nicht genötigt sah: Kwangchul Youn ist ein großartiger Sänger mit einer für einen Koreaner bemerkenswerten Diktion der deutschen Sprache – als Gurnemanz sicher derzeit eine Idealbesetzung.
5. Lohengrin
Lohengrin ist diejenige der vier Opern, die ich letzte Woche gehört habe, die ich am wenigsten kenne. Dies wird sich allerdings schon bald ändern, da der Rundfunkchor Berlin im November dieses Jahres bei einer konzertanten Aufführung dieser Oper, in der der Chor stark gefordert ist, unter der Leitung von Marek Janowski mitwirken wird.
Habe ich eigentlich jemals erwähnt, dass ab und zu gerne Schaumzuckermäuse von HARIBO esse? Und wie komme ich jetzt in diesem Zusammenhang darauf? Vielleicht kann ein Interview mit dem Regisseur Hans Neuenfels Licht ins Dunkel bringen:
Bevor ich mein Leser mit dem weiteren Breittreten meiner Vorurteile und Aufzählen belangloser Information zu und um Bayreuth langweile, schließe ich diesen Artikel lieber und wünsche allen diesjährigen Festspielbesuchern erbauliche Gesamtkunstgenüsse!
Zu Fragen, die ich in diesem öffentlichen Rahmen nicht beantworten durfte, stehe ich selbstverständlich in privatem Rahmen gerne Rede und Antwort.
26. Juli 2011 um 18:03 Uhr
Hm, darf man denn eine Kritik, die keine ist, kritisieren?
Wobei – normal ist es mir ja ganz egal, was ich „darf“ oder nicht „darf“ – meistens mache ich es einfach und rede mich um Kopf und Kragen *g*
Andererseits: KANN man eine Kritik, die keine ist, überhaupt kritisieren? Wenn man dem nicht-kritisierten Ereignis nicht mal beigewohnt hat? Oder ist das dann auch egal? Doppelte Verneinung?
Okay, dann kopiere ich einfach fantasielos und schreibe keine Kritik – nicht, dass ich dann Schuld bin, wenn es ein Dilemma gibt: Ich hatte bisher das lieb gewonnene Vorurteil, dass Dave sehr gut und amüsant schreiben kann – das hat sich soeben maninfestiert. Einzige Einschränkung: ich glaube immer noch nicht, dass das Infinite-Monkey-Theorem zutrifft!
*einerosanemausklau*
28. Juli 2011 um 19:18 Uhr
„… dass ein Ereignis, auch wenn es noch so unwahrscheinlich scheint, irgendwann eintritt, wenn man nur lange genug darauf wartet.“ Ist wohl wahr, aber jetzt ist schon Donnerstag am Abend – und noch kein weiterer Blogpost. 😉